Am 28. Mai 2016 wurde unserem Pfarrer Dr. Gottfried Martens in einer Feierstunde in unserer Dreieinigkeitskirche der Stephanus-Preis für standhafte Christen in Verfolgerstaaten von der überkonfessionellen Stephanus-Stiftung für verfolgte Christen für seinen Einsatz für christliche Asylbewerber in Deutschland überreicht. Wir dokumentieren im Folgenden seine Rede anlässlich der Preisverleihung:

Dankesrede

 

Herzlich danke ich der Stephanus-Stiftung für verfolgte Christen für die Zuerkennung und Überreichung des Stephanus-Preises. Als ich im September letzten Jahres von der Stephanus-Stiftung über diese Entscheidung informiert wurde, dass mir ein Preis für standhafte Christen in Verfolgerstaaten zuerkannt worden ist, und als ich dann die Liste derer mir anschaute, die diesen Preis vor mir erhalten hatten, hatte ich den Eindruck, dass die Fußtapfen derer, denen dieser Preis zuvor verliehen worden waren, doch allzu groß waren und ich mich in meiner gesicherten Stelle als Pfarrer in einem friedlichen, demokratischen Land nicht unbedingt in eine Reihe mit Blutzeugen des Evangeliums stellen kann. Diesen Eindruck habe ich, ehrlich gesagt, nach wie vor. Dennoch muss ich der Stephanus-Stiftung meinen großen Respekt dafür aussprechen, dass sie bereits im September 2015 gespürt hat, was für ein brennendes Thema die Frage der Bedrängung von Christen in Asylbewerberheimen unseres Landes in Wirklichkeit darstellt. Dass dieses Thema einmal eine solche Brisanz auch in der öffentlichen Diskussion entwickeln könnte, wie dies nun tatsächlich mittlerweile der Fall ist, habe ich im Unterschied zur Stephanus-Stiftung damals nicht geahnt. Ich habe der Zuerkennung des Stephanus-Preises an mich damals zugestimmt mit dem Verweis darauf, dass damit in Wirklichkeit und vor allem der Mut unserer christlichen Brüder und Schwestern in den Asylbewerberheimen unseres Landes gewürdigt wird, die um ihres Glaubens willen in so vielen Heimen bedrängt, bedroht und schikaniert und oft genug auch verleumdet werden und die trotzdem an ihrem Bekenntnis zu Christus festhalten, auch wenn sie immer wieder voller Erschrecken feststellen, dass sich die Situation in den Heimen kaum von der Situation unterscheidet, vor der sie aus ihrer Heimat geflohen waren. Diese Würdigung möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich noch einmal hervorheben. Ich habe vor diesen Christen und ihrem Glaubensmut einen sehr hohen Respekt und bin dankbar für die Ermutigung, die wir hier in Deutschland durch sie in unserem christlichen Glauben erhalten.

Herzlich danke ich natürlich auch Herrn Hafen für seine freundlichen Worte. Letztlich erhalte ich heute einen Preis dafür, dass ich Geschenke auspacken darf. Denn die Arbeit hier in der Gemeinde ist ein großes Geschenke-Auspacken. Ich mag nicht den heute so weit verbreiteten Sprachgebrauch, immer wieder von einer Flüchtlingskrise oder von einem Flüchtlingsproblem zu reden. Wir erleben hier in unserer Gemeinde einen gewaltigen Flüchtlingssegen, mit dem wir geradezu überschüttet werden und für den wir gar nicht dankbar genug sein können. Wer mit diesen Flüchtlingen hier in unserer Gemeinde näher zu tun hat, merkt bald, was für Geschenke wir da in unserem Land erhalten haben – und ich bin hier in der Gemeinde tatsächlich die ganze Zeit mit dem Auspacken dieser Geschenke beschäftigt, mit dem näheren Kennenlernen dieser Menschen mit all ihren bewegenden Schicksalen.

Ja, es lässt sich nicht leugnen: Die Arbeit mit mittlerweile etwa 1200 Menschen aus dem Iran und Afghanistan ist auch mit Arbeit verbunden. Doch diese Arbeit wird nun wahrlich nicht von mir allein geleistet, sondern von so vielen Mitarbeitern in unserer Gemeinde – von Einheimischen ebenso wie von unseren neuen Gemeindegliedern. Ich erlaube mir an dieser Stelle, nun doch einmal in besonderer Weise einen Dank an meine Eltern auszusprechen, ohne die ich meine Arbeit hier in Steglitz in diesen vergangenen Jahren kaum hätte bewältigen können. Doch sie haben genau dieselbe Erfahrung gemacht wie so viele andere Mitarbeiter hier in der Gemeinde und wie ich selber auch: Perser-Arbeit macht süchtig, wie wir es so schön augenzwinkernd formulieren. Wer einmal diese wunderbaren Menschen aus dem Iran und Afghanistan kennengelernt und von ihren Schicksalen erfahren hat, der kommt von dieser Arbeit nicht mehr los. Und wir wollen davon ja auch gar nicht loskommen.

In dieser Woche wurde ich von einem amerikanischen Journalisten gefragt, wieso ich mir gerade die Arbeit mit Flüchtlingen ausgesucht hätte. O nein, ausgesucht habe ich mir diese Arbeit überhaupt nicht. Dass ich diese Arbeit mit Flüchtlingen tun darf, ist einfach ein besonderer Liebesbeweis meines Herrn Jesus Christus, der sie und mich hier in Steglitz zusammengeführt hat.

Die Verleihung des Stephanus-Preises in diesem Jahr ist schon ein sehr kräftiges Signal – nicht wegen meiner Person, sondern wegen der Behauptung, die mit dieser Verleihung allen Ernstes zum Ausdruck gebracht wird. Sie geht an standhafte Christen in Verfolgerstaaten. Ich lebe nicht im Iran oder in Afghanistan, nicht in Syrien oder dem Irak, nicht in Pakistan, Eritrea oder Nordkorea. Ich lebe in Deutschland, und natürlich macht schon allein der Weltverfolgungsindex von Open Doors deutlich, dass Deutschland im Unterschied zu den anderen Ländern eben nicht unter den Top Ten der Verfolgerstaaten zu finden ist. Und doch sind wir auch hier in unserem Land beim Umgang mit christlichen Flüchtlingen – und natürlich nicht nur mit christlichen Flüchtlingen, sondern auch mit anderen nichtmuslimischen religiösen Minderheiten! – mit Problemen konfrontiert, die gerade an diesem heutigen Tag der Preisverleihung noch einmal deutlich benannt werden sollen:

Dies beginnt schon mit den massiven Ressentiments gegenüber Asylbewerbern in unserer Gesellschaft, die so weit verbreitet sind, dass es mich nicht selten an die Grenzen meiner Geduld bringt, ihnen immer wieder neu widersprechen zu müssen. Und diese Ressentiments werden eben nicht allein aus einer bestimmten rechten Ecke geschürt, auch wenn dieses Schüren dort oft genug besonders unappetitliche Züge annimmt. Ich habe in den vergangenen Monaten viele Dutzend Interviews mit Journalisten geführt. In fast jedem dieser Interviews musste ich mich mit der Unterstellung auseinandersetzen, die Taufbewerber und Täuflinge in unserer Gemeinde würden ja nur deshalb konvertieren, um damit einen Vorteil in ihrem Asylverfahren zu erreichen. Asylbewerber werden auch von angeblich fortschrittlichen und linken Journalisten erst einmal unter einen Generalverdacht gestellt: Sie sind natürlich nur hier, um den Staat zu betrügen, und haben eigentlich gar keinen echten Grund, weshalb sie hierher nach Deutschland gekommen sind. Gebetsmühlenartig habe ich in den vergangenen Wochen und Monaten meine Argumente gegen diese Unterstellungen wiederholt – mit mehr oder weniger großem Erfolg. Aber dass es offenkundig salonfähig ist, Asylbewerber in dieser Weise pauschal zu verdächtigen, erschreckt mich immer wieder neu. Wie dieses Schüren von Ressentiments betrieben wird, dafür sind die Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom vergangenen Sonntag zu diesem Thema ein beredtes und erschreckendes Zeugnis: Da werden Aussagen von christlichen Asylbewerbern aus dem Iran neben Aussagen eines echten deutschen Heimbetreibers in einer Weise gegenübergestellt, dass die Botschaft eindeutig ist: Asylbewerber lügen, ein anständiger Deutscher dagegen sagt die Wahrheit und überführt die betrügerischen Asylbewerber. Hier wird Rassismus unter dem Mäntelchen eines angeblichen Enthüllungsjournalismus salonfähig gemacht. Und es ist erschütternd zu sehen, wie dieses Vorgehen auch in kirchlichen Kreisen nicht etwa in Frage gestellt, sondern zur Rechtfertigung der eigenen Untätigkeit gebraucht wird. Ich habe große Sympathie für die Idee von Erzbischof Kardinal Woelki, die Fronleichnamsmesse an einem Flüchtlingsboot zu feiern und damit auf das Schicksal der ertrunkenen Flüchtlinge aufmerksam zu machen. Doch wenn er in einem Interview am Tag zuvor, angesprochen auf das Schicksal von bedrängten Christen in Asylbewerberheimen, dieses Thema mit dem Verweis beiseite wischt, hier würden Einzelfälle aufgebauscht, dann ist das ein Schlag in das Gesicht so vieler Flüchtlinge, die ihre Bootsfahrt überlebt haben und in denen Gott auch in den Asylbewerberheimen unseres Landes nicht weniger leidet als in den Booten auf dem Mittelmeer. Ja, es gibt ihn in ganz massiver Weise, den Rassismus aus der rechten Ecke, der dazu führt, dass so manche unserer Geschwister hier in der Gemeinde sich in einigen Orten in Brandenburg und auch in bestimmten Gegenden in Berlin nicht mehr ohne Angst auf die Straße trauen. Auch das muss ganz deutlich ausgesprochen werden. Aber es gibt eben auch einen viel subtileren, arroganten Rassismus, der sich aufgeklärt gibt und unsere christlichen Geschwister ebenso wie ihre jesidischen Leidensgenossen oft nicht weniger verletzt und sie in Gefahr bringt, als dies von der anderen Seite der Fall ist.

Wenn von der Bedrohung von Christen hier in Deutschland zu sprechen ist, dann muss auch davon die Rede sein, was für Folgen das Dublin-System für nicht wenige unserer bedrängten Glaubensgeschwister hier in Deutschland hat. Immer wieder kommen hier bei uns in der Gemeinde beispielsweise engagierte iranische und afghanische Christen an, die aus Norwegen fliehen mussten, weil dort die Konversion vom Islam zum christlichen Glauben in den allermeisten Fällen nicht als Asylgrund anerkannt wird. Die Anwendung des Dublin-Vertrags bedeutet in diesen Fällen, dass Deutschland engagierte Christen auf dem Umweg über den Flughafen in Oslo in ihre Heimat in den Iran oder nach Afghanistan zurückschickt, wo ihnen unmittelbar Gefahr an Leib und Leben droht. Immer wieder waren und sind wir dazu gezwungen, solchen Christen in unserer Gemeinde Kirchenasyl zu gewähren, weil sie nur dadurch vor akuter Verfolgung in ihrem Heimatland geschützt werden können. Ich könnte von anderen Gemeindegliedern berichten, die etwa in Bulgarien im Erstaufnahmelager gefoltert worden sind und mir erklärt haben, was sie dort erlebt hätten, sei schlimmer gewesen, als was sie im Gefängnis im Iran erlebt hatten. Dennoch sollten auch sie nach dem Dublin-Vertrag nach Bulgarien abgeschoben werden. Wenn ich heute den Stephanus-Preis erhalte, erkläre ich ausdrücklich, dass sich der Einsatz für die bedrängten Glaubensgeschwister in den Asylbewerberheimen und der Einsatz für von der Abschiebung bedrohte Christen durch die Gewährung von Kirchenasyl in unserer Arbeit nicht trennen lassen. Und erst recht können wir bei unserem Einsatz für bedrängte Christen und andere nichtmuslimische Minderheiten sehr gut auf die Unterstützung derer verzichten, die sich jetzt zu ihrem Anwalt aufspielen, sie aber zuvor, wenn es nach ihnen gegangen wäre, erst gar nicht hier in unser Land gelassen, wenn nicht gar am liebsten erschossen hätten. Gerade weil ich sehr offen und deutlich auch die Probleme unserer Glaubensgeschwister in den Asylbewerberheimen unseres Landes benenne, betone ich zugleich immer wieder, was für ein Segen und Geschenk die Öffnung der Grenzen für viele hundert unserer Glaubensgeschwister allein hier in unserer Gemeinde im letzten Jahr gewesen ist. Glaubwürdig verteidigen kann sie nur, wer auch selber dazu bereit gewesen wäre, sie überhaupt in unser Land zu lassen.

Und wenn wir unsere Stimme für die bedrängten Glaubensgeschwister in den Heimen erheben, dann dürfen wir eben auch nicht stumm bleiben gegenüber der Tatsache, dass Deutschland und Europa sich zurzeit gerade auch gegenüber allen christlichen Flüchtlingen, die um ihres Glaubens willen ihre Heimat verlassen, rigoros abschottet. Mit dem Vertrag zwischen der EU und der Türkei ist den Christen, die aus den Hausgemeinden im Iran fliehen müssen, die letzte Fluchtroute genommen worden. Wie jetzt der Öffentlichkeit bewusst geworden ist, ist in dem Vertrag vorgesehen, dass die Türkei die Vorauswahl trifft, welche Flüchtlinge möglicherweise eine Chance auf eine legale Ausreise in die EU bekommen. Zu behaupten, dass Christen bei dieser Vorauswahl von der Türkei auch nur in irgendeiner Weise berücksichtigt werden, dürfte wohl selbst den größten Optimisten äußerst schwerfallen. Was das praktisch in Zukunft heißen dürfte, hat ein Vertreter der syrisch-orthodoxen Kirche bei einem Fachgespräch der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag sehr deutlich auf den Punkt gebracht: Das Problem der Übergriffe auf christliche Asylbewerber in den Heimen wird sich in der kommenden Zeit dadurch von allein lösen, dass es keine christlichen Asylbewerber mehr in den Heimen geben wird.  Und die Abschottung geht ja weiter: Wir haben gerade neulich erfahren, dass unter deutscher Führung die EU dem Sudan dabei helfen will, christlichen Flüchtlingen die Flucht vor dem Terrorregime in Eritrea durch den Aufbau eines Grenzüberwachungssystems zu erschweren. Wir haben hier in unserer Gemeinde auch mit Flüchtlingen aus Eritrea zu tun, haben auch schon Brüder aus diesem Land im Kirchenasyl bei uns gehabt. Auch für diese Glaubensgeschwister, die auf ihrer Flucht oft Entsetzliches durchmachen mussten und nun in vielen Asylbewerberheimen ebenfalls wegen ihres Glaubens massiven Bedrohungen ausgesetzt sind, erheben wir unsere Stimme.

Der Stephanus-Preis ist eine Ermutigung für unsere Arbeit, die auch ich persönlich zweifelsohne zurzeit sehr gut gebrauchen kann. Gewiss ist es uns in den vergangenen neun Monaten gelungen, die Thematik der Übergriffe auf nichtmuslimische Minderheiten in den Asylbewerberheimen in einer Weise in die öffentliche Diskussion einzubringen, wie ich mir dies vor einigen Monaten noch nicht einmal ansatzweise hätte vorstellen können. Doch zugleich mussten wir die Erfahrung machen, wie unsere Bemühungen, den bedrängten Minderheiten in den Asylbewerberheimen bei den Entscheidungsträger in Politik und Gesellschaft, leider gerade auch in den großen Kirchen, Gehör zu verschaffen, weitestgehend abgeprallt sind. Immer deutlicher ist mir geworden, dass ich offenbar mit den Einladungen zu politischen Diskussionen letztlich doch nur als Feigenblatt gebraucht werden sollte, um einer bestimmten Wählerklientel gegenüber den Eindruck zu erwecken, man würde sich ernsthaft dieses Themas annehmen. Doch einen ernsthaften Willen, wirksame Maßnahmen zum Schutz bedrängter nichtmuslimischer Minderheiten in den Heimen zu ergreifen, habe ich je länger desto weniger erkennen können. Gewiss gab es den einen oder anderen guten und sinnvollen Vorschlag für eine mittelfristige Verbesserung der Lage dieser Minderheiten in den Heimen. Doch wenn ein Haus brennt, muss man die Bewohner herausholen, reicht es nicht, über Brandschutzmaßnahmen zu diskutieren. Doch genau das geschieht zurzeit – einmal abgesehen davon, dass man sich nun zunehmend darüber unterhält, ob das Haus denn nun tatsächlich brennt und nicht vielleicht doch nur die Bewohner ein übersteigertes Wärmeempfinden an den Tag legen. Und wenn nun mitunter behauptet wird, man habe wirksame Maßnahmen zum Schutz christlicher Asylbewerber in den Heimen getroffen, ist das etwa so überzeugend, als wenn man behaupten würde, man könne das Problem rechtsradikaler Übergriffe gegen Asylbewerberheime dadurch in den Griff bekommen, dass man in den nächsten zwei Jahren in allen Asylbewerberheimen Sprinkleranlagen einbaut. Doch oft genug gibt man sich eben noch nicht einmal die Mühe, sich um die Sprinkleranlagen zu bemühen, sondern belässt es bei zynischem Sprücheklopfen: Eine getrennte Unterbringung von nichtmuslimischen Minderheiten sei eine Kapitulation vor denen, die die Religionsfreiheit in Frage stellen, heißt es. Das bedeutet in die Praxis übersetzt: Wir lassen lieber die Christen in den Heimen weiter leiden, als dass wir unser Gesicht verlieren und zugeben müssen, dass in vielen Heimen längst rechtsfreie Räume herrschen – eine Entwicklung, die im Übrigen ganz wesentlich durch die völlig unsinnige gesetzliche Bestimmung gefördert worden ist, Asylbewerber sechs Monate lang in einer Erstaufnahmeeinrichtung festzuhalten. Was für üble Folgen diese Bestimmung gerade für christliche Asylbewerber hat, die sechs Monate lang kaum eine Chance haben, den Übergriffen in den Erstaufnahmeeinrichtungen zu entkommen, erleben wir beinahe Woche für Woche hier bei uns in der Gemeinde. Die Politik kann es sich oft leicht machen: Sie verweist darauf, dass die großen Kirchen ja bei dieser Thematik keinen gesteigerten Handlungsbedarf sehen. Und die großen Kirchen wiederum zeigen nach unseren Erfahrungen kaum ein Interesse daran, wirklich einmal mit den von Übergriffen betroffenen Christen ins Gespräch zu kommen, sondern beschränken sich darauf, diejenigen, die ihnen eine Stimme geben, mit zum Teil absurden politischen Labels zu versehen und damit das Problem für erledigt zu erklären. Und gerade in den vergangenen Monaten habe ich wiederholt sehr deutlich erfahren, wie die Stellungnahmen der Kirchen ganz wesentlich auch von der Tatsache geprägt sind, dass sie selber eben auch in großem Stil selber Flüchtlingsheimbetreiber sind und auch von daher kein Interesse an negativen Schlagzeilen in Bezug auf Übergriffe gegen christliche Flüchtlinge in den Heimen haben. Ich habe es gemerkt, dass ich es in den Reaktionen auf meine Berichte eben nicht nur mit Lobbygruppen, sondern tatsächlich mit Konzernen zu tun habe.  

Doch in aller Frustration, die ich in diesen vergangenen Monaten erfahren musste, wenn ich merkte, mit was für einem Zynismus und mit was für einer Gleichgültigkeit Berichte vom Schicksal von Gliedern unserer Gemeinde von Verantwortungsträgern behandelt und beiseite getan wurden, habe ich in diesen vergangenen Monaten, ja, überhaupt in der Flüchtlingsarbeit auch etwas sehr Beglückendes erfahren: nämlich die Ökumene des Leidens, von der in den letzten Jahren in kirchlichen Verlautbarungen immer wieder die Rede ist und die wir auch in unserer Arbeit immer wieder neu erleben dürfen: Die gemeinsame Erfahrung von Verfolgung und Bedrängung schließt Christen aus ganz verschiedenen Kirchen miteinander zusammen, lässt sie etwas von dem erfahren, was sie in aller Unterschiedlichkeit doch im Tiefsten miteinander verbindet. Ich bin dankbar für die herzliche Verbindung mit Christen aus den orientalischen orthodoxen Kirchen, von denen wir so viel lernen können. Und ich bin dankbar auch für die herzliche Verbindung mit Christen aus landeskirchlichen Gemeinschaften und Freikirchen, die in ihrer Flüchtlingsarbeit oftmals genau dasselbe erfahren, was wir hier bei uns in der Gemeinde zahlenmäßig in größerem Maße erleben. Dass diese Ökumene des Leidens dann jedoch auch zugleich andere Brüche erkennbar werden lässt gegenüber denen, denen dieses Leiden letztlich doch fremd oder ein Anstoß bleibt, ist ebenfalls eine Erfahrung, die wir in unserer Arbeit wiederholt machen mussten.

Ich hatte noch vor einigen Monaten in meiner Naivität gehofft, dass es wenigstens bis zum Beginn des Ramadan am 6. Juni möglich sein wird, für bedrängte nichtmuslimische Minderheiten unter den Asylbewerbern Schutzräume zu schaffen, die sie in diesen kommenden Wochen besonders benötigen werden. Wir wissen aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre, wie schwer es diese Minderheiten gerade in der Zeit des Ramadan haben, wenn sie sich durch ihre Nichtteilnahme als Nichtmuslime outen. Nachdem sich die Lage seit dem vergangenen Jahr in den Heimen noch einmal deutlich zugespitzt hat, blicken wir nun mit großer Sorge auf diese kommenden Wochen. Wir wissen, welche Angst viele unserer Glaubensgeschwister in den kommenden Wochen in ihren Heimen durchleben werden, und sind schon jetzt dabei, uns darauf einzustellen, jetzt im Juni mehr bedrängte Christen aus den Heimen bei uns oder auch in Familien aufzunehmen, als dies sonst das Jahr über der Fall ist. Ich bitte Sie darum, für die christlichen Glaubensgeschwister, aber auch für die anderen nichtmuslimischen Minderheiten in diesen kommenden Wochen in besonderer Weise zu beten, dass sie vor Gefahren an Leib und Leben verschont bleiben. Beten Sie aber bitte auch für die Muslime selber, dass sich Christus auch ihnen zu erkennen gebe – gerade auch durch das Leidenszeugnis der bedrängten Christen! Und vergessen Sie dabei nicht: Denjenigen, für den ich bete, kann ich nicht hassen! Und beten Sie schließlich auch für die Verantwortlichen in unserem Land, dass Christus ihre Herzen öffne und sie die Not der bedrängten Christen so erkennen lasse, dass sie endlich zum Handeln bereit werden. Ich weiß: Wir beten damit um nicht weniger als um ein Wunder! Doch Wunder haben wir hier in unserer Mitte schon so oft erlebt. Sie erinnern uns immer wieder daran, dass unsere Arbeit, ja die Arbeit der Kirche insgesamt nicht von uns und von unserem Einsatz abhängt. Nicht wir sind es, die die Kirche bauen; nicht wir sind es, die Flüchtlinge zum Glauben an Jesus Christus führen. Dies tut er, der Herr der Kirche allein, Gott sei Dank. Und so gilt gerade auch in Bezug auf die Verleihung des Stephanus-Preises, was Nikolaus Selnecker schon vor mehr als 400 Jahren formuliert hat: „Die Sach und Ehr, Herr Jesu Christ, nicht unser, sondern dein ja ist; darum so steh du denen bei, die sich auf dich verlassen frei.“