St. Markus 2, 1-12 | 19. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

Als ich am vergangenen Mittwoch bei stern TV in Köln war, trat direkt vor meinem Einsatz dort Samuel Koch im Studio auf. Samuel Koch – das ist der Turner, dessen Wette in der Fernsehsendung „Wetten dass“ so fürchterlich schief ging: Innerhalb von Sekunden wurde aus einem hochbegabten jungen Turner ein Mensch, dessen Körper fast vollständig gelähmt ist, der für die allereinfachsten Handgriffe auf Hilfe angewiesen ist. Oder, wie Samuel Koch es in seinem neuen Buch, über das er an diesem Abend sprach, selbst formuliert: „Ich beschäftige vier Festangestellte, zwei Teilzeitkräfte, zwei Aushilfen, Rollstuhltechniker, Physiotherapeuten, Logopäden und noch einige mehr und stelle damit einen nicht unerheblichen Wirtschaftsfaktor dar. In dieser Hinsicht wäre mein Ableben ein Verlust für das Bruttosozialprodukt.“

Umwerfend gut war Samuel Koch an diesem Abend im Studio, und richtig gut ist auch das Buch „Rolle vorwärts“, das nun gerade neu erschienen ist. In diesem Buch geht es ganz wesentlich darum, dass Samuel Koch uns mitnimmt in seine Überlegungen, wie er, der gläubige Christ, denn nun mit seinem Schicksal umgeht, mit diesem Schicksal, voll und ganz gelähmt zu sein – unwiderruflich. Ich zitiere noch einmal aus seinem Buch: „Obwohl ich noch derselbe bin und Gott wahrscheinlich auch, hat sich meine Sicht von Gott verändert. Anscheinend ist er anders, als ich dachte. Trotzdem: Wer einen kaputten DVD-Player hat, reklamiert ihn im Fachgeschäft. Und so wende ich mich mit meinem defekten Rückenmark logischerweise ebenfalls an den Hersteller, nachdem der Kundendienst mir nicht helfen konnte. Leider scheint Gott andere Prioritäten zu haben als physische Gesundheit und Beweglichkeit.“ Und dann schreibt er auf den letzten Seiten: „Die Aussicht auf den Himmel verändert meine ganze Sicht auf das irdische Leben – weil es nicht alles ist, was ich zu erwarten habe, ist es auch nicht der Weltuntergang, wenn es meinen Erwartungen nicht entspricht.“

Da hören wir also von einem Gelähmten, dass es offenkundig etwas Wichtigeres gibt, als gesund zu sein, als laufen zu können. Und das ist eine Einsicht, die er gerade nicht gewonnen hat, weil Jesus an ihm ein Wunder gewirkt hätte, dass er mit einem Mal wieder laufen konnte. Lest das Buch selber – Ihr werdet noch viel mehr darin entdecken.

Genau um dasselbe Thema geht es auch im Heiligen Evangelium dieses Sonntags: Da geht es auch um einen Gelähmten, der unbeweglich zu Hause auf seinem Strohsack liegt und ganz auf die Hilfe seiner Freunde angewiesen ist. Und die packen ihn eines Tages und tragen ihn, denn Elektrorollstühle gab es damals noch nicht. Zu Jesus wollen sie ihn tragen – aber dabei kommen sie nicht weit, denn das Haus, in dem er predigt, ist so voll, dass sie mit dem Gelähmten nicht in seine Nähe kommen. Zustände waren das, fast wie jeden Tag heute am LaGeSo in der Turmstraße. Doch so lange wie die Leute, die dort über Wochen und Wochen jeden Tag anstehen, um vielleicht irgendwann mal einen Asylantrag stellen zu können, wollten die vier Freunde dieses gelähmten Mannes nicht warten. Und so steigen sie mit diesem Gelähmten auf das Flachdach des Hauses, in dem Jesus sich aufhielt, graben ein Loch in die Decke und lassen den Gelähmten zu den Füßen Jesu herunter. Was macht man nicht alles, um einem Menschen zu helfen, gesund zu werden! Ich denke, die Freunde und Familie von Samuel Koch hätten gerne noch viel verrücktere Dinge gemacht, als diese vier Freunde damals, wenn es denn nur eine Möglichkeit gegeben hätte, dass Samuel wieder laufen kann. Doch in Wirklichkeit hat ja auch die Familie von Samuel genau dasselbe wie die Freunde damals gemacht: Sie haben Samuel auch zu Jesus gebracht, schon als er noch gesund war, haben ihn auch danach immer wieder mit ihren Gebeten zu Jesus getragen.

Und Jesus – der reagiert nun ganz anders, als die vier Freunde, als all die Umstehenden im Haus es erwartet hatten: Er heilt den Gelähmten nicht gleich, sondern er tut etwas, was noch wichtiger ist als die körperliche Heilung: Er vergibt ihm seine Sünden. Die Leute, die sich damals in der Bibel auskannten, die hatten noch ein Gespür dafür: Das war unglaublich, was Jesus da tat: Sünden vergeben – das konnte wirklich nur Gott. Wenn Jesus hier sagt: Dir sind deine Sünden vergeben – dann behauptete er: Ich bin Gott, ich kann tun, was nur Gott allein vermag. Ja, genau das behauptet Jesus in der Tat. Und er macht noch etwas Anderes damit deutlich: Dass ich diesem Menschen die Tür zum Himmel öffne, das ist das Allerwichtigste, was ich für ihn in seinem Leben tun kann. Gewiss, Jesus heilt ihn dann auch, schenkt ihm auch körperliche Gesundheit. Aber dies bleibt immer das Zweite, das, was in der Reihenfolge immer nach der Vergebung der Sünden, nach dem Heil, nach der Rettung zum ewigen Leben kommt.

„Dir sind deine Sünden vergeben“ – Die Worte Jesu hören wir auch heute noch jeden Sonntag viele Male, wenn Menschen in der Beichtandacht hier an den Altar treten. Ach, Schwestern und Brüder, ich hoffe, dass ihr noch ein wenig von dem Staunen in euch tragt, das damals die Umstehenden erfasste, als Jesus diese Worte sprach. Ich hoffe, ihr ahnt noch etwas davon, wie unfasslich das ist, dass es allen Ernstes möglich ist, dass hier und heute ein Mensch diese Worte spricht, die doch eigentlich nur Gott selber sprechen kann und darf – und dass dies trotzdem gilt, dass damit tatsächlich die Sünden vergeben sind bei Gott im Himmel, dass diese Worte eine Kraft haben, Menschen die Tür zum Himmel aufzuschließen! Nein, das kann kein Pastor aus sich selber sagen, das kann er nur, weil er von Christus selber diese Vollmacht erhalten hat, in seinem Namen tun zu können, was doch in der Tat eigentlich nur Gott selber kann.

Ja, das passiert in jeder Beichte – und das ist heute Morgen nun auch mit unseren 17 Täuflingen geschehen. Als das Wasser der Heiligen Taufe über ihren Kopf rann und ich die Worte Christi sprach – da löste sich tatsächlich die ganze Schuld ihres Lebens, ihr ganzes Versagen voll und ganz in Luft auf, da blieb nichts, aber auch gar nichts mehr übrig von dem, was sie einmal zuvor von Gott getrennt hatte.

Wie wichtig diese Vergebung Gottes ist, das können unsere Täuflinge alle miteinander bezeugen. Viele von ihnen haben alles aufgegeben, was sie hatten, nur um diese Vergebung Gottes in der Taufe heute empfangen zu können. Ja, ihr wisst: Gottes Vergebung ist wichtiger als alles, wirklich alles sonst im Leben: Sie ist wichtiger als alles Geld und aller Besitz, den ihr zurückgelassen habt. Sie ist wichtiger als eure Gesundheit, die ihr riskiert habt, als ihr Christen geworden seid, ja, die euch in mindestens einem Fall durch die Folter in der Haft auch genommen worden ist. Ihr wisst: Die Vergebung Gottes ist wichtiger sogar als eure Familie, die mit dem heutigen Tag eurer Taufe möglicherweise nichts mehr von euch wissen will. Ja, ihr wisst es alle miteinander zu schätzen: Das gibt es nur bei Christus, das gibt es nirgendwo im Islam: Dass mir meine Sünden hier auf Erden vergeben werden und ich gewiss sein darf: Das gilt jetzt auch bei Gott im Himmel.

Schwestern und Brüder: Ich wünsche euch allen miteinander, dass ihr gesund seid und bleibt. Ich wünsche euch noch mehr, dass ihr eure Gesundheit nicht als selbstverständlich, sondern als Geschenk und Gabe Gottes anseht. Und ich wünsche euch am allermeisten, dass ihr euer Leben lang begreift, dass es in der Tat etwas gibt, was noch wichtiger ist als eure Gesundheit: Dass euch die Sünden vergeben werden. Ja, ich wünsche euch, dass ihr das nicht bloß mit dem Kopf begreift, sondern auch mit euren Beinen, solange ihr denn noch laufen könnt und nicht gelähmt seid: Dass ihr immer und immer wieder hierher kommt an Gottes Altar, wo sich das Versprechen Christi immer wieder erfüllt, dass hier auf Erden Gott selber Sünden vergibt. Und wenn es denn mit dem Laufen gar nicht mehr geht, dann sollt ihr darum nicht abgeschnitten sein, dann sollt ihr dennoch die Nähe eures Herrn und seine Vergebung empfangen, seinen Leib und Blut im Heiligen Mahl, ja, auch zu Hause oder im Pflegeheim. Es gibt doch nichts Wichtigeres auf der Welt. Amen.

Zurück