St. Lukas 8,4-15 | Sexagesimae | Pfr. Dr. Martens

Wenn ich mit anderen Menschen darüber spreche, dass mittlerweile schon mehr als 500 Menschen aus dem Iran und Afghanistan in unsere Gottesdienste kommen, dann erlebe ich immer wieder zwei ganz typische Reaktionen: Die eine lautet: „Das ist ja ganz wunderbar, was Sie, Herr Pastor, hier in Steglitz aufgebaut haben.“ Und die andere lautet: „So viele Leute? Das kann doch gar nicht sein, dass die das alle ernst meinen! Die kommen doch mit Sicherheit nur hierher, um ihren Aufenthalt zu bekommen – und danach sind sie dann wieder weg.“

Im Heiligen Evangelium des heutigen Sonntags ist auch von einer großen Menge die Rede, die von überall her zu Jesus strömt. Und angesichts dieser Menge erzählt Jesus nun ein Gleichnis, macht mit diesem Gleichnis deutlich, wie wir mit einem solchen Zustrom von Menschen geistlich in der rechten Weise umgehen sollen und dürfen – ganz anders eben als in den Reaktionen, die ich eben beschrieben hatte. Mit einer Aussaat von Samen vergleicht Jesus das, was er tut, was immer wieder neu in der Kirche geschieht – und um die Kraft, die in diesem Samen verborgen liegt, geht es Jesus, nicht um die, die den Samen ausstreuen und auch nicht um irgendwelche Erfolgs- oder Misserfolgsquoten. Zutiefst tröstlich und entlastend ist das, was uns Jesus hier erzählt und was wir uns jetzt miteinander noch einmal etwas genauer anschauen wollen.

Um verstehen zu können, was Jesus uns hier erzählt, müssen wir zunächst einmal bedenken, wie damals im Heiligen Land auf den Feldern die Aussaat vollzogen wurde. Für uns hier in Deutschland ist es ja selbstverständlich, dass erst einmal ein Traktor mit einem Pflug tiefe Furchen in den Acker gräbt und dass dann in diese Furchen der Getreidesame gestreut wird und der dann entsprechend wieder mit Erde bedeckt wird. Damals war das im Heiligen Land anders. Da streute ein Bauer den Samen erst einmal auf das Feld, und danach wurde der Same dann in einem zweiten Arbeitsgang untergepflügt. Es war also völlig normal und kein Zeichen für eine extreme Kurzsichtigkeit des Bauern, wenn der Getreidesame zunächst auch auf einen Trampelpfad fiel, der bis zum Unterpflügen quer über das Feld verlief, oder wenn der Same auf ein Stück Erde fiel, das nur hauchdünn einen felsigen Untergrund bedeckte. Und natürlich wurden damals auch noch keine Pestizide eingesetzt, die das Wachstum von Unkraut verhindert hätten. Doch obwohl diese Art der Aussaat aus unserer heutigen Sicht etwas altmodisch anmutet, brachte sie am Ende doch reichlichen Ertrag, lohnte sich die Aussaat, selbst wenn ein Teil des Samens verlorenging.

Ja, das passierte damals in der Tat, dass der Same, der auf den Trampelpfad fiel, von der harten Erde abprallte und entsprechend als beliebtes Vogelfutter diente. Das passierte damals in der Tat, dass Getreidesamen auf Boden fiel, unter dem sich harter Fels verbarg, sodass der Same, als er aufging, keine Wurzeln schlagen konnte und schnell wieder einging. Und das passierte eben auch, dass das Unkraut, das mit dem Getreide zusammen wuchs, sich am Ende als kräftiger erwies und an mancher Stelle das Wachstum des Getreides schließlich erstickte. Und doch, dass wir es darüber ja nicht vergessen: Die Aussaat lohnte sich trotzdem, trotz der Verluste. Der Ertrag war und blieb reichlich.

Von uns, von dem, was hier in Steglitz geschieht, was überall geschieht, wo Gottes Wort verkündigt wird, erzählt dieses Gleichnis. Es macht uns deutlich, worin unsere Aufgabe besteht und worin die Grenzen dessen bestehen, was wir leisten können. Unsere Aufgabe besteht schlicht und einfach darin, den Samen des Wortes Gottes auszusäen, anderen Menschen die frohe Botschaft von Jesus Christus zu erzählen, wo wir nur können und wie wir nur können. Wenn wir das nicht tun, wenn wir in der Kirche, in der Gemeinde alles Mögliche veranstalten, aber nicht den Samen des Wortes Gottes aussäen, dann mögen viele Menschen das für sehr nett und verdienstvoll halten, was wir hier tun – aber dann hat diese Arbeit, die hier in unserer Gemeinde geschieht, letztlich keine Verheißung. Gottes Wort, das Evangelium muss immer wieder zur Sprache, zu Gehör kommen – eben weil wir wissen, was für eine Kraft dieser Same des Wortes Gottes in sich birgt, was aus ihm alles zu erwachsen vermag. Und eben darum sollen wir uns umgekehrt nicht auf die Misserfolge und Enttäuschungen konzentrieren, die bei solch einer Aussaat unweigerlich mit dazugehören.

Ja, natürlich erleben wir das auch immer wieder: Da versuchen wir, Menschen die wunderbare Botschaft von Jesus nahezubringen – und dann merken wir: Das prallt an ihnen ab wie der Getreidesame auf dem Trampelpfad. Da haben Menschen sich schon so daran gewöhnt, den christlichen Glauben nur noch als religiöses Hintergrundgeräusch für besondere feierliche Anlässe wahrzunehmen, dass sie überhaupt nicht mehr auf die Idee kommen, das persönlich auf sich zu beziehen, was ihnen als Wort Gottes gesagt wird. Oder da kommen Menschen hier in unsere Gemeinde, wollen mal hören, was die christliche Botschaft zu sagen hat. Doch nachdem sie ein oder zweimal da waren, bleiben sie wieder weg. Das war nichts für sie; das hat sie nicht erreicht. Same auf dem Trampelpfad, schnell wieder weggepickt von den Vögeln.

Und auch das erleben wir immer wieder: Menschen kommen in unsere Gemeinde, sind ganz begeistert von dem, was sie hier hören, engagieren sich, laden andere ein, lassen sich schließlich vielleicht auch noch voller Freude taufen. Und dann ist mit einem Mal Schluss. Die erste Begeisterung ist vorbei – und es bleibt scheinbar gar nichts mehr. Sie kommen nicht mehr und lassen sich auch nicht mehr auf das ansprechen, wovon sie kurz zuvor noch so begeistert waren. Das Wort Gottes, das bei ihnen so schnell aufzugehen schien, konnte bei ihnen keine Wurzel schlagen, konnte von daher keine Frucht bringen, stieß bald schon auf Fels.

Und noch häufiger erleben wir ein Drittes, was Jesus hier beschreibt: Das Wort Gottes wirkt Glauben, wirkt Freude und Frieden in den Herzen von Menschen. Ja, sie meinen es ganz ernst, kommen hierher zum Gottesdienst, auch über längere Zeit. Aber dann bekommen sie schließlich ihren Aufenthalt hier in Deutschland – und bald darauf sind sie weg. Sie haben jetzt so viel anderes zu tun, so erklären sie es mir. Sie müssen arbeiten, Geld verdienen, ja, natürlich am Sonntag. Und wenn sie nicht am Sonntag arbeiten, dann müssen sie sich am Sonntag von der Arbeit der Woche ausruhen. Und außerdem haben sie immer noch so viele andere Probleme – da bleibt für Jesus einfach keine Zeit mehr. Dass sie kurz zuvor noch erklärt hatten, sie würden in ihrer Heimat für Jesus ihr Leben riskieren, davon wollen sie nichts mehr wissen. Jetzt reicht schon der ganz normale Alltag, „die Sorgen, der Reichtum und die Freuden des Lebens“, wie Jesus es hier so treffend umschreibt, um den Glauben wieder ersticken zu lassen, der doch schon so weit gewachsen schien. Oder da waren Jugendliche im Konfirmandenunterricht mit solcher Freude und solchem Interesse mit dabei, hatten ganz ernsthaft bei ihrer Konfirmation Jesus versprochen, auch weiter seiner Einladung zu folgen. Und ein halbes Jahr später sind es dann die Schule, die Freunde, die Hobbys, die alle so viel wichtiger sind als Jesus, die nun wieder ersticken, was so schön gewachsen zu sein schien.

Ja, wenn man solche Erfahrungen macht, dann kann einen das mitunter ganz schön frustrieren. Ist die ganze Arbeit nicht doch sinnlos, geht am Ende nicht doch wieder das allermeiste von dem ein, was man ausgesät hatte? Nein, sagt Jesus. Wo Gottes Wort ausgesät wird, da bringt es immer wieder hundertfach Frucht. Ja, dieses Wort Gottes hat tatsächlich die Kraft, Herzen von Menschen umzuwandeln, die das selber nie für möglich gehalten hätten, das hat die Kraft, Glauben zu wirken und zu stärken, auch auf Dauer, hat die Kraft, Menschen tatsächlich selig werden zu lassen.

Darum geben wir in unserer Arbeit hier in Steglitz nicht auf, auch wenn es immer wieder einmal die eine oder andere Enttäuschung geben mag. Das Versprechen, das Jesus mit seinem Wort verbunden hat, wiegt allemal schwerer. Eines ist gewiss ganz klar: Wo Gottes Wort Frucht bringt, da liegt es nicht an dem, der aussät, dann liegt es an dem Samen, an dem Wort Gottes allein. Was hier in Steglitz gewachsen ist, ist nicht das Ergebnis meiner Bemühungen, so wenig wie ein Bauer selber Getreidehalme aus der Erde ziehen kann. Er kann nur aussäen und dann abwarten. Aber dann passiert tatsächlich immer wieder, was man mit menschlicher Logik nur begrenzt nachvollziehen kann, dann entsteht und wächst Glaube, vielleicht mitunter sogar erst nach Jahren oder Jahrzehnten, aber auch immer wieder so, dass diejenigen, bei denen das Wort Gottes ihn gewirkt hat, das selber eigentlich gar nicht so genau erklären können, was da mit ihnen passiert ist. Sie können es nur staunend feststellen: Jawohl, da ist bei mir etwas gewachsen, nicht auf meinem eigenen Mist; sondern da hat Christus selber etwas an mir und in mir gewirkt, worüber ich nur staunen, worüber ich mich nur freuen kann. Nein, die Menschen in unserer Gemeinde bekennen sich nicht einfach wegen irgendwelcher Vorteile zu Christus. Es liegt tatsächlich an dem Samen, der ausgesät wird. Hören wir bloß mit der Aussaat nicht auf! Bitten wir Gott vielmehr, dass er uns noch viele Menschen schicken möge, die uns hier in der Erntearbeit helfen. Denn die Ernte ist groß; aber wenige sind der Arbeiter. Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende. Denn wo Gottes Wort laut wird, müssen wir mit den Konsequenzen rechnen: Es ging auf und trug hundertfach Frucht. Wer Ohren hat zu hören, der höre! Amen.

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