Römer 14, 7-9 | Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres | Pfr. Dr. Martens

Wenn ich bei unseren Taufbewerbern am Ende des Taufunterrichts die Prüfung vornehme, dann spreche ich dabei immer wieder auch ganz direkt das Thema „Tod und Sterben“ an. „Was hat deine Taufe mit deinem Tod zu tun“, so frage ich etwa. Oder: „Wenn du am Ende stirbst und vor Gott stehst und er dich fragt, warum er dich in den Himmel lassen solle – was würdest du da antworten?“ Ich merke dann immer wieder, dass sich so mancher Dolmetscher schwer damit tut, solche Fragen ganz direkt und unbefangen zu übersetzen. So direkt über den Tod, über das eigene Sterben zu sprechen – das ist offenbar in der islamischen Kultur des Iran und von Afghanistan nicht üblich. Da wird der Tod dann doch lieber verdrängt, umschrieben, aus dem Blickfeld geschoben. Einen Menschen darauf anzusprechen, dass er doch irgendwann sterben muss – das macht man doch einfach nicht!

Doch wenn wir genauer hinschauen, stellen wir fest: Das hat nicht nur etwas mit iranisch-afghanischer Kultur zu tun – diese Scheu, über den eigenen Tod, das eigene Sterben zu sprechen, gibt es hier in Deutschland genauso. Auch hier bei uns verdrängen so viele Menschen ihr eigenes Sterben, würden es als sehr unpassend empfinden, wenn sie darauf von jemandem angesprochen werden.

Doch wenn Menschen nicht dazu bereit und nicht dazu in der Lage sind, über den eigenen Tod, das eigene Sterben zu sprechen, dann hat dies immer wieder zur Folge, dass sie letztlich mit ihrem Tod, mit ihrem Sterben ganz allein bleiben, dass sie am Ende doch nur für sich sterben. Ach, wie oft geschieht es dann, dass der Tod, das Sterben von den Betroffenen und oft genug auch von den Angehörigen geleugnet wird, bis es schließlich gar nicht mehr anders geht – und umso abrupter, unfasslicher ist es dann für alle Beteiligten, wenn der Mensch dann bald darauf tatsächlich stirbt, wenn das Thema „Tod“ mit einem Mal so dicht heranrückt, dass es sich nicht länger verdrängen lässt. Ja, wie wenig Hoffnung bleibt dann am Ende, wenn man im Leben den Tod so ganz ausgeblendet hat und von ihm nichts wissen wollte!

Wie ganz anders, ja wie aktuell klingt auf diesem Hintergrund, was der Apostel Paulus den Christen in Rom in der Predigtlesung des heutigen Sonntags schreibt: Von „uns“ spricht der Apostel hier, und mit den „uns“ sind all diejenigen gemeint, die Christen sind, die durch die Taufe mit Jesus Christus untrennbar verbunden sind. Ja, so macht es der Apostel deutlich: Wir Christen können mit dem Tod ganz anders umgehen als diejenigen, die in ihrem Leben keine Hoffnung, keine Perspektive über den Tod hinaus haben. Nein, wir können mit dem Tod nicht nur anders umgehen, wir tun es auch.

Warum können wir mit dem Tod ganz anders umgehen, warum können wir schon jetzt in unserem Leben auch ganz unbefangen über ihn sprechen, ohne dass wir peinlich berührt sind, ohne dass wir da etwas schönreden oder verdrängen müssen? Paulus formuliert es so: Als Christen sterben wir „dem Herrn“. Was ist damit gemeint?

Es heißt: Wir sind als Christen in unserem Leben nicht bloß auf uns selber bezogen, betrachten auch den Tod nicht als etwas, was wir nur mit uns selber auszumachen haben. Sondern seit unserer Taufe gehören wir gar nicht mehr uns selber, sind wir Eigentum unseres Herrn Jesus Christus geworden, ist unser Leben ganz auf Christus ausgerichtet, oder, wie Paulus es selber im Galaterbrief formuliert: Wir haben in der Taufe Christus angezogen. Was für eine wunderbare Perspektive: In allem, was ich mache, was ich erlebe und erleide, bin ich mit Christus verbunden, geht Christus vor mir her, lässt er mich niemals allein und lässt mich niemals fallen. Und das gilt eben auch für die Stunde meines Todes: Ich sterbe nicht mir selber, ich bin in meinem Tod nicht allein, muss nicht vergeblich versuchen, mir selber zu helfen. Sondern auch und gerade in meinem Tode sterbe ich nicht mir selber. Sondern Christus bleibt bei mir, hält mich, trägt mich, leuchtet mir als das Licht meines Lebens auf dem Weg zum Ziel voran. Darum kann ich als Christ gelassen über meinen Tod und mein Sterben reden, kann gelassen diesem Ziel meines Lebens entgegenblicken: Da stürzen am Ende meines Lebens nicht die Illusionen ein, die ich mir in meinem Leben aufgebaut habe; sondern da erweist sich gerade in meinem Sterben schließlich als tragfähig, was mein Leben ausgemacht hat, worauf mein Leben ausgerichtet war. Nein, ich sterbe nicht mir selber – sondern ich sterbe mit Christus und ihm entgegen.

Und wir ahnen zugleich etwas davon, wie sich diese Sterbeperspektive, die wir als Christen haben, auswirkt auf unser Leben hier und jetzt, wie sich dadurch auch unser Leben hier und jetzt von denen unterscheidet, denen am Ende nichts anderes übrig bleibt, als nur sich selber zu sterben:

Wenn ich am Ende mit meinem Sterben nur bei mir selber bleibe, dann muss ich versuchen, in meinem Leben so viel mitzunehmen, wie ich kann, dann ist es sinnvoll, alles darauf auszurichten, dass ich in diesem Leben nichts verpasse, dass ich am Ende sagen kann: Ich habe mein Leben so geführt, wie ich es wollte, wie ich es bestimmen konnte – oder mit den Worten Frank Sinatras: „I did it my way.“ Ja, wenn ich nur dies eine Leben habe, dann ist es klar, dass es in diesem einen Leben nur darum gehen kann, mich selber zu verwirklichen, wie es heute so schön heißt, dem Leben mit meinem eigenen Handeln einen Sinn zu geben.

Doch dieses Bemühen kommt eben an sein Ende, wenn es dem Tod entgegengeht. Da ist dann nichts mehr mit „möglichst viel Spaß haben“, nichts mit Selbstverwirklichung; da bleibt dann so herzlich wenig von dem wichtig, was unser Leben zuvor bestimmt hatte.

Wenn ich dagegen weiß, dass ich nicht mir selber sterbe, wenn ich weiß, dass Christus mein Leben bestimmt, dass ich ihm lebe und sterbe und nicht mir selber, dann werde ich mit einer viel größeren Gelassenheit auch hier und jetzt an mein Leben herangehen. Was wirklich am Ende zählt, ist nicht, was ich in meinem Leben alles erarbeitet und geschafft habe, auch nicht, wie viele Freunde und Bewunderer ich in meinem Leben gehabt habe. Sondern dann ist nur dies eine wirklich wichtig: Dass ich hier und jetzt in meinem Leben bei Christus bleibe, ihm schon hier und jetzt immer wieder begegne, in dessen Arme ich am Ende doch auch hineinsterben werde. Jeder Gottesdienst ist schon eine Einübung in dieses Sterben, wenn ich am Anfang in der Beichte schon den Freispruch Gottes im letzten Gericht vernehme, wenn mir die Hand aufgelegt wird und mir der Zuspruch der Vergebung der Sünden zuteilwird. Jeder Gottesdienst ist schon eine Einübung in mein Sterben, wenn ich schon hier und jetzt in die Gesänge der Engel im Gottesdienst mit einstimme, deren Gesang mich auch am Ziel meines Lebens erwarte. Ja, jeder Gottesdienst ist schon eine Einübung in mein Sterben, wenn ich im Heiligen Mahl selber gar nichts mehr tue, mich einfach nur füttern lasse, ganz alles Christus überlasse, der mich mit seinem Leib und Blut, mit diesem Heilmittel der Unsterblichkeit speist und tränkt.

Ja, wir leben anders, wenn wir dem Herrn leben, wenn wir immer wieder seine Gemeinschaft suchen und wissen: Diese Gemeinschaft ist unendlich wichtiger als all das, was sonst Menschen in unserer Umgebung so entscheidend wichtig erscheinen mag. Diese Gemeinschaft lässt mich so viel gelassener auf das schauen, was ich habe oder nicht habe, was ich in meinem Leben erleben durfte und was nicht. Ich lebe doch dem Herrn, darauf allein kommt es an.

Leben und Sterben gehören zusammen – ganz gewiss. Überlege dir einfach einmal, was du möchtest, was einmal am Ende deines Lebens, bei deiner Beerdigung über dich gesagt werden soll, worin dein Leben zusammengefasst sein soll! Ja, hoffentlich wünschst du dir, dass da ganz von Christus die Rede ist, nicht von dir selber, von deinen Verdiensten! Und wenn dir das klar ist, dann lebe danach auch hier und jetzt schon!

Denn du hast ja allen Grund, dein Leben so auf Christus auszurichten. Christus ist ja nicht bloß eine fromme Idee, keine ehrwürdige Gestalt der Vergangenheit. Er ist für deine Schuld am Kreuz gestorben, damit dich das Versagen deines Lebens in deiner Sterbestunde nicht zu belasten braucht, damit du gewiss sein kannst: Meine Sünde und Schuld werden mich nicht daran hindern, in den Himmel zu kommen, weil ich doch mit ihm, dem lebendigen Christus, verbunden bin, der die Last meiner Sünde und Schuld durch seinen Tod auf sich genommen hat. Und er ist wahrhaftig auferstanden, damit auch dein Tod nicht das Ende deines Lebens ist, sondern tatsächlich die Tür zu dem neuen Leben, in dem du Christus einmal mit eigenen Augen schauen wirst.

Ja, davon kann man nicht nur reden, davon muss man reden, weil es so wunderbar, so großartig ist, weil es uns so getröstet leben und sterben lässt, dass wir es gar nicht für uns behalten können, weil doch so viele andere diese gute Botschaft auch noch dringend nötig haben.

Und wenn wir alle denselben Herrn haben, wenn wir alle miteinander gemeinsam nicht uns selber leben, sondern Christus, unserem Herrn, dann wird sich das auch auswirken im Zusammenleben unserer Gemeinde. Dann können wir sehr unterschiedliche Menschen sein und bleiben – Menschen mit ganz unterschiedlichen Sprachen, mit ganz unterschiedlichen Lebensläufen, mit Unterschieden auch in der Beurteilung dessen, wie wir als Christen unser Leben zu führen haben. Das war damals in der Gemeinde in Rom auch schon nicht anders. Doch so unterschiedlich wir auch sein mögen: Wir haben alle Anteil an Christus, sind alle auf ihn ausgerichtet. Das stiftet eine Gemeinschaft, die viel tiefer reicht, als wenn wir alle nur dieselbe Meinung oder dasselbe Hobby hätten.

Ja, wir können als Christen sehr unterschiedlich sein – und das ist auch gut so. Hauptsache, wir wissen, wem wir leben und wem wir sterben. Dann werden diese Worte des Apostels Paulus, Gott geb’s, auch einmal an unserem Grab erklingen: „Leben wir, so leben wir dem Herrn. Sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: Wir leben oder wir sterben, so sind wir des Herrn!“ Gut, dass wir darüber heute gesprochen haben! Amen.

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