Predigt am 2. Advent, zur Weihe des Gemeindesaals in Berlin-Steglitz | Bischof Hans-Jörg Voigt

Reihe III: Matthäus 24, 1 Und Jesus ging aus dem Tempel fort und seine Jünger traten zu ihm und zeigten ihm die Gebäude des Tempels. 2 Er aber sprach zu ihnen: Seht ihr nicht das alles? Wahrlich, ich sage euch: Es wird hier nicht ein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde. 3 Und als er auf dem Ölberg saß, traten seine Jünger zu ihm und sprachen, als sie allein waren: Sage uns, wann wird das geschehen? Und was wird das Zeichen sein für dein Kommen und für das Ende der Welt? 4 Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Seht zu, dass euch nicht jemand verführe. 5 Denn es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen: Ich bin der Christus, und sie werden viele verführen. 6 Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei; seht zu und erschreckt nicht. Denn das muss so geschehen; aber es ist noch nicht das Ende da. 7 Denn es wird sich ein Volk gegen das andere erheben und ein Königreich gegen das andere; und es werden Hungersnöte sein und Erdbeben hier und dort. 8 Das alles aber ist der Anfang der Wehen.

9 Dann werden sie euch der Bedrängnis preisgeben und euch töten. Und ihr werdet gehasst werden um meines Namens willen von allen Völkern. 10 Dann werden viele abfallen und werden sich untereinander verraten und werden sich untereinander hassen. 11 Und es werden sich viele falsche Propheten erheben und werden viele verführen. 12 Und weil die Ungerechtigkeit überhandnehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten. 13 Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden. 14 Und es wird gepredigt werden dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird das Ende kommen.

Disposition:

Einleitung: von Immobilien

  1. Menschen neigen zur Immobilität
  2. Christus ist mobil – er kommt
  3. immobil – mobil: beharrlich warten

Einleitung: Liebe Festgemeinde zur Hausweihe hier in Steglitz! Wir feiern heute die Weihe eures Gemeindehauses – mit anderen Worten: Wir feiern eine Immobilie. Eine Immobilie ist, was das Wort sagt: un-mobil, das heißt, man kann sie nicht bewegen von einem Ort zum anderen. Von „Immobilem“ und „Mobilem“, also von Unbeweglichem und Beweglichem soll heute in der Festpredigt die Rede sein.

Als ich das Predigtwort las, das von der Kirche für diesen 2. Sonntag im Advent in diesem Jahr ausgewählt worden ist, bin ich fast etwas erschrocken und habe mich gefragt: „Kannst du zur Weihe des großen Gemeindehauses in Steglitz über die Zerstörung einer Immobilie predigen?“  „Und Jesus ging aus dem Tempel fort und seine Jünger traten zu ihm und zeigten ihm die Gebäude des Tempels.  2 Er aber sprach zu ihnen: Seht ihr nicht das alles? Wahrlich, ich sage euch: Es wird hier nicht ein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde.“ Auf den ersten Blick passt das nicht zu einer Hausweihe. Aber es wird am Schluss deutlich werden, wie dies doch wieder zusammengehört.

 

  1. Der König Herodes der Große hatte diesen Tempel, den die Jünger Jesu damals vor Augen hatten, errichten lassen mit sage und schreibe 162 kostbar gearbeiteten korinthischen Säulen, die die Vorhalle zierten. Das Dach war tatsächlich mit Goldplatten gedeckt. Dieser Tempel in Jerusalem war in der Antike sehr berühmt, eine Sehenswürdigkeit, die in allen Touristenführern stand. Im Judentum sagte man damals: „Wer nicht das Heiligtum in seiner Bauausführung gesehen hat, hat niemals einen Prachtbau gesehen.“ (bei Gnilka). Kein Mensch konnte sich vorstellen, dass aus dieser Immobilie einmal eine „Mobilie“, etwas Bewegliches, werden würde, dass sie zerstört werden würde.

Im Jahr 70 nach Christus, im Jüdischen Krieg, als die Römer unter dem Feldherren Titus Jerusalem eroberten, waren es gerade die Goldplatten auf dem Dach, die die römischen Soldaten gegen den ausdrücklichen Befehl des Titus handeln ließen. Der Geschichtschreiber Josephus berichtet, wie ein Soldat sich von seinem Kameraden hochheben ließ, um einen Brandsatz in ein goldenes Fenster zu werfen, so dass der Tempel niederbrannte. Niemand konnte sich das damals vorstellen und die Katastrophe für das Judentum war ungeheuerlich.

Liebe Gemeinde, wir können uns das im Allgemeinen heute auch nicht vorstellen, dass diese Kirche, das neue Gemeindehaus oder  unser Haus einmal zerstört oder abgerissen werden könnte. Ja, wir halten doch auch unser Leben gern für eine „Immobilie“. Unsere Kinder verlassen gerade ihr Elternhaus. Sie werden mobil – notgedrungen. Aber das ist für sie doch ein schmerzlicher Prozess. Alles ist so bequem im Hotel „Mama“. Und auch wir Erwachsenen möchten am liebsten keine Veränderungen. „Verweile doch, o, Augenblick!“ rufen wir nur zu gern aus. Und hier in Deutschland geben sich die meisten Familien die allergrößte Mühe, damit zu Weihnachten nur alles so sein soll, wie es immer gewesen ist. Nur keine Veränderung!  

Deshalb ist unser Predigtwort so unbequem.

Aber Jesus kündigt unmissverständlich diese Veränderungen an: „Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei; (in Syrien, wo fast alle Häuser zerstört sind) seht zu und erschreckt nicht. Denn das muss so geschehen; aber es ist noch nicht das Ende da. 7 Denn es wird sich ein Volk gegen das andere erheben und ein Königreich gegen das andere; und es werden Hungersnöte sein (in Afrika) und Erdbeben (in Haiti und in Italien) hier und dort. 8 Das alles aber ist der Anfang der Wehen.

Die meisten von euch haben in der alten Heimat auch Wohnungen und Häuser, Freunde und Verwandte zurückgelassen. Ihr habt schon erlebt, was Jesus hier ankündigt. Und wenn Jesus sagt: „Dann werden sie euch der Bedrängnis preisgeben und euch töten. Und ihr werdet gehasst werden um meines Namens willen von allen Völkern“, dann denke ich daran, was einige von euch hier in Deutschland in den Flüchtlingsheimen erlebt haben und erleben. Ich denke daran, was einige von euch bei den Anhörungen erleben. In unserer Schwestergemeinde in Weißenfels wurde ein Christ aus dem Iran bei seiner Anhörung gefragt, an welchem Tag Luther geboren wurde – und er hat es gewusst!

Die Ankündigungen Jesus sind höchst unbequem, weil sie unsere Immobilität, unsere Ruhe stören.

 

  1. Liebe Gemeinde, Jesus Christus hat uns vorgelebt, dass in dieser Welt nicht die „Immobilien“ Bestand haben, sondern die „Mobilien“, das Bewegliche. Christus wird so zum Gegenteil des alten Tempelbaus. Er ist so zu sagen selbst der neue Tempel. Er selbst, Jesus Christus, wird mobil und bewegt sich aus dem Reich seines Vaters und wird ein Mensch im Stall von Bethlehem, der schäbigsten Immobilie, die erfinden konnte. Er ist einer auf der Flucht gewesen. Er ist einer von euch gewesen!

Er bewegt sich mobil von dort hin ans Kreuz. Und dann nageln sie den sich zu uns bewegenden Gott fest. Sie heften ihn fest mit Nägeln am Kreuz.

Wir heften ihn fest mit unserer Unbeweglichkeit des Herzens, mit unseren Sünden haben wir ihn ans Kreuz gebracht.

Aber göttliche Mobilität kennt keine Grenzen.

Das Grab, das als letzte Immobilie für ihn gedacht war, vermag ihn nicht zu halten und er geht daraus ganz mobil hervor als der Auferstandene.

Und dann kommt erst recht die Mobilität des Evangeliums in Gang und sein Wort breitet sich aus in alle Welt, wie er es selbst angekündigt hat: „Und es wird gepredigt werden dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker…

 

  1. Liebe Gemeinde, wenn das so ist, wozu braucht ihr dann noch diese Kirche und euren neuen Gemeindesaal, dessen Einweihung wir heute feiern? Sind das nicht Immobilien, die nur hinderlich sind?

Ich las in einem Gemeindebrief eine wundervolle Geschichte, die mir zum Vergleich für diesen Gemeindesaal und für eure Dreieinigkeitskirche wird. Der Pfarrer erzählt, wie er auf dem überfüllten Großstadtbahnhof ein Ehepaar beobachtet. Offensichtlich ist der Ehemann blind, denn er hält einen weißen Stock in der Hand und seine Ehefrau führt ihn. Die beiden schieben und arbeiten sich durchs Getümmel, bis die Frau mit ihrem blinden Mann redet und ihn an die Seite geleitet. Dann geht sie allein Richtung Fahrkartenschalter. Der Blinde aber steht und wartet in aller Seelenruhe. Sein Gesicht strahlt Zuversicht und Freude aus. Wahrscheinlich freut er sich auf die Reise. Er wartet mit seinem weißen Stock in der Hand, während alles um ihn herum in hektischer Eile ist. Und dann endlich kommt seine Frau zurück. Sie wechseln ein paar Worte, sein Gesicht leuchtet auf. Die Frau fasst ihn unter und sie gehen zum nahegelegenen Bahnsteig hinauf. Die Reise kann beginnen.

Das ist ein treffendes Bild für den zweiten Advent. Wir warten auf das Wiederkommen Jesu. Er hat uns in dieser Welt belassen und gesagt: „Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden.“ Und so warten, so beharren wir in der frohen Gewissheit, dass er wiederkommen wird, dass er uns unterhaken wird und eine wundervolle Reise in seine Ewigkeit beginnen wird.

Und, liebe Gemeinde, dieses Gemeindezentrum ist sozusagen der Bahnhof, eine Station, die warten hilft. Eine Station, in der wir uns treffen, ja in der wir Ihn, Jesus Christus, schon bei uns haben. Ein Bahnhof, in dem es auch etwas zu essen gibt im Heiligen Abendmahl und in dem ihr Mittagessen kochen könnt. So ist euer Gemeinderaum eine wundervolle Immobilie, die uns vorbereitet auf sein Ankommen auf unsere Mobilität, hin zu ihm in sein Reich. „Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden.“ Amen.

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