Jeremia 23, 5-8 | Erster Sonntag im Advent | Pfr. Dr. Martens

Nun hat der Wahlkampf für die Bundestagswahlen im kommenden Jahr unverkennbar begonnen. Spitzenkandidaten werden aufgestellt oder stellen sich selber auf, und alle möglichen Hoffnungen werden in diesem Zusammenhang formuliert: Ist Angela Merkel der Fels in der Brandung in unruhigen Zeiten, oder ist sie die Wurzel allen Übels, die unbedingt beseitigt werden muss, damit es in unserem Land wieder aufwärts geht? Schaffen es andere Parteien, alles besser zu machen als die, die bisher regiert haben, oder sind sie im Gegenteil eine Gefahr für unser Land?

Heiß diskutiert wird über politische Führer nicht allein hier in Deutschland, sondern ebenso in den USA oder in Frankreich, und auffallend sind die oftmals völlig übersteigerten Erwartungen oder zum Teil eben auch Befürchtungen, die mit bestimmten Politikern verbunden werden. Ja, das steckt offenbar in uns Menschen drin, dass wir immer wieder auf Menschen, auf Führer unsere Hoffnungen setzen – und dann am Ende doch jedes Mal wieder feststellen müssen, dass die, auf die wir gehofft hatten, am Ende doch nicht gehalten haben, was wir uns von ihnen ersehnt hatten.

Damals zur Zeit des Propheten Jeremia gab es noch keine Wahlkämpfe. In Jerusalem war das auch gar nicht nötig. Denn da saß auf dem Thron immer ein Nachkomme des Königs David – und man dachte eigentlich, dass das für immer so weitergehen würde, dass diese Thronnachfolge von Gott selber garantiert werden würde. Doch nun waren die Dinge in Jerusalem völlig durcheinandergeraten: Der babylonische König Nebukadnezar hatte Jerusalem belagert, den regierenden König Jojachin abgesetzt und selber einen anderen Nachkommen Davids als König eingesetzt. Und der ließ sich nun einen Namen geben, in dem gleichsam ein ganzes Wahlprogramm steckte: Zedekia, auf Deutsch: Der Herr ist unsere Gerechtigkeit. Was für Hoffnungen verbanden die Bewohner Jerusalems mit diesem neuen König! Er sollte es doch schaffen, das Ruder herumzureißen, Frieden zu schaffen, Jerusalem zu schützen, ja, mehr noch: neue, gerechte Verhältnisse im Lande zu schaffen.

Doch der Prophet Jeremia holt die Erwartungen, die wohl Zedekia selber auch geschürt hatte und die so viele andere auf ihn projiziert hatten, wieder auf den Teppich herunter. Geradezu ein Affront gegenüber dem König Zedekia ist das, was er hier im Auftrag Gottes verkündigt: Zedekia ist eben kein Hoffnungsträger, geschweige denn der Retter seines Volkes. Im Gegenteil: Damit wieder einer wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird, muss Gott selber noch einmal ganz neu eingreifen, einen anderen Davidsnachkommen seinem Volk schicken. Die, die bisher in Jerusalem das Sagen hatten, die schaffen das nicht, die haben abgewirtschaftet, die sind nicht dazu in der Lage, das Volk Gottes noch so zu führen, wie es Gottes Willen entspricht. Das wird allein der eine Nachkomme Davids tun, der mit Recht eben diesen Namen trägt: Der HERR unsere Gerechtigkeit.

Was für eine heilsame Botschaft ist das auch für uns heute an diesem ersten Sonntag im neuen Kirchenjahr: Setzt eure Hoffnung niemals auf irgendwelche politischen Führer, ganz gleich, welcher Partei sie angehören, ganz gleich, welche Versprechungen sie euch auch machen mögen! Kein Politiker, keine Partei ist dazu in der Lage, diese Welt, ja auch nur unser Land grundlegend zum Guten zu verändern. Kein Politiker, keine Partei ist dazu in der Lage, eine wirklich gerechte Gesellschaftsordnung zu schaffen und zu erhalten. Dies wird, solange die Erde steht, keinem gelingen – und wer doch so etwas verspricht, vor dem sollte man sich erst recht in Acht nehmen. Wirkliche Gerechtigkeit, eine Welt, in der wirklich Gerechtigkeit herrscht, die schafft nur der eine Nachkomme Davids namens Jesus Christus, auf dessen Kommen wir uns jetzt in diesen Wochen der Adventszeit in besonderer Weise ausrichten. Wirkliche Gerechtigkeit wird erst da herrschen, wo Gott selber ein Ereignis herbeiführen wird, das alles, was wir bisher erlebt haben, unendlich überbieten wird – wenn Christus selber einmal wiederkommen und Menschen aus allen Völkern in seinem Reich sammeln wird.

Das heißt nicht, dass uns jetzt egal sein soll, was diejenigen machen, die die Regierungsverantwortung in unserem Land wahrnehmen. Sie sollen sich in ihrem Tun schon immer wieder an dem messen lassen, was Jeremia hier in Bezug auf den einen großen kommenden König ankündigt: Recht und Gerechtigkeit sollen die Maßstäbe und Ziele ihres Handelns sein. Und was das bedeutet, das hatte Jeremia gleich am Anfang seiner Wirksamkeit im Auftrag  Gottes sehr laut und deutlich im Tempel in Jerusalem nicht nur den Regierenden, sondern allen, die im Lande lebten, verkündigt: „Bessert euer Leben und euer Tun, dass ihr recht handelt einer gegen den andern und keine Gewalt übt gegen Fremdlinge, Waisen und Witwen!“ Unrechtes Handeln gegenüber den Schwachen in der Gesellschaft, gegenüber den Fremdlingen hier an erster Stelle zieht Gottes Zorn auf sich – erst recht, wenn diejenigen, die den Schwachen in der Gesellschaft Unrecht tun, sich dann auch zugleich noch fromm gebärden. Und Gottes Wille ist es, dass Israel sicher wohne, betont Jeremia hier.

Erheben wir darum unsere Stimme, wenn in unserem Land den Schwächsten in der Gesellschaft Unrecht zugefügt wird, wenn Menschen, die um ihres christlichen Glaubens willen Asyl in unserem Land erbitten, mit skandalösen Begründungen wieder aus unserem Land weggeschickt werden sollen, wenn Christen in Asylbewerberheimen unseres Landes eben nicht sicher wohnen, sondern immer wieder Bedrohungen und Angriffe erfahren müssen. Erheben wir unsere Stimme für die, die selber keine Stimme, keine Lobby in unserem Lande haben, erinnern wir die, die uns regieren, an ihre Verantwortung für Recht und Gerechtigkeit – erst recht, wenn sie uns dann auch noch etwas von einem christlichen Menschenbild erzählen wollen, an dem sie sich angeblich orientieren! Erheben wir unsere Stimme, wenn Juden in unserem Lande und im Land Israel nicht sichern wohnen können, sondern bedroht, verleumdet und angegriffen werden! Und erheben wir unsere Stimme auch für diejenigen im Land, die erleben, dass das Unrecht, das ihnen widerfahren ist, nicht ernstgenommen wird, weil es nicht in die gängigen Schubladen von Gut und Böse in unserer Gesellschaft passt! Ja, der eine Friedenskönig Jesus Christus setzt durchaus Maßstäbe, auf die wir uns berufen können.

Und doch: Vergessen wir es nie! Auch unser Einsatz für die, denen in unserem Land bitteres Unrecht widerfährt, für die, die keine Lobby in unserer Gesellschaft haben, wird diese Welt nicht in eine gerechte Gesellschaft verwandeln. Rufen wir vielmehr jeden Tag zu Gott, dem HERRN, dass er diesen einen König Jesus Christus bald senden möge, damit er allem Unrecht dieser Welt ein Ende setzen und uns ein Zuhause schenken möge, in dem für immer Gerechtigkeit herrschen wird, die all unsere Sehnsüchte nach Gerechtigkeit noch übersteigt, ein Zuhause, aus dem wir niemals wieder abgeschoben werden können, in dem wir einmal für immer sicher wohnen werden!

Gott hat sein Versprechen schon gehalten, hat uns diesen Friedenskönig schon geschickt – ganz anders, als wir es erwartet hätten, ganz anders, als auch die Zuhörer Jeremias es sich damals vermutlich vorgestellt haben. Dieser Friedenskönig hat sein Recht nicht mit Stärke und Gewalt durchgesetzt. Auf einem Esel ist er in Jerusalem eingezogen, hat seinen Königsthron am Kreuz bestiegen, um uns damit eine Gerechtigkeit zu schenken, die alle irdische Gerechtigkeit übersteigt – die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt und die uns ermöglicht, für immer in Gottes Gegenwart zu leben. Unscheinbar kommt dieser Spross Davids, dieser Friedenskönig, auch heute wieder zu uns, wenn wir gleich sein Heiliges Mahl feiern. Und doch ist es derselbe Herr, der tatsächlich einmal allem Unrecht endgültig ein Ende setzen wird. Der schenkt uns die Kraft und die Hoffnung, in all der Ungerechtigkeit dieser Welt, die gerade auch so viele Glieder unserer Gemeinde in diesen Wochen so eindrücklich erfahren, nicht zu verzweifeln, sondern unseren Blick immer fester auf ihn, Christus, zu richten, der allein uns retten kann und retten wird. Dieser König ist nicht auf Mehrheiten in unserer Gesellschaft angewiesen; der lässt sich seinen Willen auch nicht durch Mehrheitsentscheidungen in einer Gesellschaft umbiegen. Und der wird auch die zur Rechenschaft ziehen, die jetzt noch über ihn spotten, die sich jetzt noch in den Anhörungen über christliche Flüchtlinge lustig machen und glauben, sie nach ihrem Belieben schikanieren zu können. Ja, der wird auch all diejenigen zur Rechenschaft ziehen, die jetzt noch so gerne seinen Namen zur Begründung ihrer politischen Positionen im Munde führen und ihn in Wirklichkeit dann doch nur mit Füßen treten. „Siehe, es kommt die Zeit“, so kündigt es Jeremia an. „Siehe, es kommt die Zeit“ – Gottes Versprechen gilt. Und mit dieser Aussicht lässt sich dann sogar ein Bundestagswahlkampf ertragen. Amen.

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