2. Mose (Exodus) 19,1-6 | 10. Sonntag nach Trinitatis (Israelsonntag) | Pfr. Dr. Martens

Vor einigen Tagen wurden der Kapitän der iranischen Fußballnationalmannschaft Massoud Shojaei und dessen Vertreter Ehsan Hajsafi vom iranischen Fußballverband aus der Nationalmannschaft ausgeschlossen. Sie dürfen damit im nächsten Jahr nicht an der Fußballweltmeisterschaft in Russland teilnehmen. Was für ein schweres Verbrechen hatten die beiden begangen, dass sie so hart bestraft wurden? Sie hatten mit ihrem griechischen Verein Panionios Athen im Rahmen der Europa-League-Qualifikation gegen das israelische Team von Maccabi Tel Aviv gespielt. Doch genau das ist iranischen Sportlern seit der iranischen Revolution streng verboten: Sie dürfen niemals gegen israelische Sportler antreten. Der Hass gegen Israel ist ein unverzichtbarer Teil der Staatsräson der Islamischen Republik Iran – und wer dagegen verstößt, wird unerbittlich bestraft, selbst wenn sich damit der Iran selber ganz erheblich schwächt. „Tod für Israel“ – so rufen es die Demonstranten immer wieder auf den Demonstrationen zum Al-Quds-Tag, der von Ayatollah Khomeini ins Leben gerufen wurde und der leider auch jedes Jahr wieder hier in Berlin mit einer Demonstration begangen wird.

Wenn Menschen, die aus dem Iran kommen, Christen werden, dann gehört dazu auch, dass sie lernen, sich von der Gehirnwäsche zu befreien, der sie in ihrem Heimatland in Bezug auf Israel immer und immer wieder unterzogen worden waren: Als Christ kann ich niemals Juden hassen, kann ich niemals rufen: Tod für Israel. Denn, so bekennen wir es als Christen: Der Gott Israels ist auch unser Gott. Es ist derselbe Gott, durch den Juden und Christen unlöslich miteinander verbunden sind. „Wir freuen uns als jüdische Theologen darüber, dass Abermillionen von Menschen durch das Christentum in eine Beziehung zum Gott Israels getreten sind.“ – So haben es im Jahr 2000 jüdische Theologen in einer bemerkenswerten Schrift mit dem Titel „Dabru Emet“, auf Deutsch: Redet die Wahrheit! formuliert. Ja, das ist allemal bemerkenswert, dass jüdische Theologen nach all dem, was Christen Juden im Verlaufe der Geschichte angetan haben, so über das Christentum reden können und das gemeinsame Bekenntnis zum dem Gott Israels auch von ihrer Seite aus wahrnehmen und anerkennen können.

Um den Gott Israels geht es auch in der Predigtlesung dieses 10. Sonntags nach Trinitatis, dieses „Israel-Sonntags“, wie er auch genannt wird. Er, der Gott Israels, gibt sich seinem Volk am Berg Sinai zu erkennen. Und da der Gott Israels eben auch unser Gott ist, können auch wir in dieser Selbstvorstellung des Gottes Israels erkennen, wer der Gott ist, an den auch wir glauben. Dreierlei macht der Gott Israels, macht damit auch unser Gott hier über sich deutlich:

  • Er rettet ohne Vorbedingungen.
  • Er macht Kleine ganz groß.
  • Er gebraucht jede Menge Priester.

 

I.

Da sind die Israeliten nach zweimonatigem Marsch durch die gebirgige Landschaft im Westen der Halbinsel Sinai endlich am Berg Sinai angekommen. Dramatische Erfahrungen liegen hinter ihnen: Aus Ägypten waren sie geflohen, waren auf wunderbare Weise am Schilfmeer gerettet und durch das Wasser des Meeres hindurch in die Freiheit geführt worden – und nun hatten sie das Ziel ihrer Flucht erreicht: Die Begegnung mit dem Gott ihrer Väter, mit dem Gott, der auch schon der Gott ihres Stammvaters Jakob gewesen war. Und der gibt sich nun durch Mose den Israeliten zu erkennen. Und das Erste, womit sich der Gott Israels zu erkennen gibt, ist die Erinnerung an die große Rettungstat, die er an den Israeliten bereits vollbracht hatte. Das steht ganz am Anfang der Geschichte Gottes mit seinem Volk. Gott hat nicht erst dem Volk Israel Bedingungen gestellt, hat nicht gesagt: Wenn ihr euch anständig benehmt, wenn ihr meine Gesetze haltet, dann bin ich dazu bereit, euch zu retten. Sondern Gott rettet sein Volk erst einmal, rettet es ganz ohne Vorbedingungen, trägt es auf Adlerflügeln zu sich. Und dann schließt dieser Gott mit seinem Volk einen Bund. Und dieser Bund ist etwas ganz anderes als das, was wir heute unter einem Bund verstehen: Er ist nicht ein Vertrag zwischen zwei gleichberechtigten Partnern, sondern er ist eine ganz einseitige Verfügung vonseiten Gottes: Er schließt seinen Bund mit seinem Volk, er gibt die Spielregeln in diesem Bund vor: Nein, nicht die Unterdrückung der Israeliten ist das Ziel, sondern im Gegenteil: Gott will sein Volk dazu anleiten, als privilegiertes Eigentumsvolk in seiner Gemeinschaft, in seiner Nähe zu leben. Alles macht Gott allein, nichts hängt von den Israeliten ab.

Ja, so ist er, der Gott Israels, so ist unser Gott. Sagen wir es ganz deutlich: Der Gott Israels ist nicht Allah, und das Alte Testament ist nicht der Koran. Das Alte Testament ist nicht das Zeugnis eines Gottes, der keine Gnade kennt und nur bestraft und der dann im Neuen Testament durch einen liebenden Gott abgelöst wird. Nein, schaut ihn euch an, den Gott Israels, wie er sich hier seinem Volk vorstellt: Es ist ein Gott voller Liebe, ein Gott, der rettet, der trägt, der darauf aus ist, mit seinem Volk in Gemeinschaft zu leben. Und daran hat sich eben bis heute nichts geändert: Unser Gott, der Gott Israels, rettet auch uns ohne jede Vorbedingung, ohne jede Gegenleistung: Der Bund, den er durch Jesus Christus auch mit uns geschlossen hat, ist ebenfalls eine einseitige Stiftung von seiner Seite, über die wir nur staunen, über die wir uns nur freuen können. Wir verdienen uns nicht den Weg in den Himmel mit unseren guten Werken, sondern wir fangen überhaupt erst an, nach Gottes Willen zu fragen und ihm zu folgen, weil wir staunend feststellen, dass Gott uns schon längst gerettet hat, uns schon längst zu seinem Eigentum gemacht hat in unserer Taufe.

II.

Mit wem hat es der Gott Israels denn da in der Wüste Sinai eigentlich zu tun? Mit einer Gruppe von Flüchtlingen, mit einer Gruppe von „Wirtschaftsflüchtlingen“, so würden viele die Israeliten heute wohl abschätzig bezeichnen. Entflohene Sklaven, Menschen am untersten Rand der Gesellschaft, nichts, was man in gehobenen Kreisen irgendwie vorzeigen konnte. Und dieser Flüchtlingsgruppe, diesem unbedeutenden Trupp von Menschen, gibt der Gott Israels nun ein großartiges Versprechen: Er verspricht diesen Flüchtlingen, sie zu seinem Eigentumsvolk zu machen, ihnen damit eine ganz besondere Stellung zu geben unter allen Völkern auf Erden. Gott hebt die Kleinen ganz hoch empor; er lässt sich nicht durch das beeindrucken, womit Menschen sich sonst beeindrucken lassen: durch Größe, durch Reichtum, durch Macht, durch Schönheit. Gott hat eine ganz besondere Eigenart, von der er nicht lassen kann und will: Er hat immer wieder ein Faible für die Kleinen und Schwachen, hebt sie immer wieder ganz hoch.

Über dieses Faible Gottes staunt im Neuen Testament die Gottesmutter Maria, besingt diese besondere Eigenart des Gottes Israels in ihrem Lied, dem Magnificat: „Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.“ Und genau so gibt sich der Gott Israels auch uns heute zu erkennen: Er ist und bleibt ein Gott, der auf der Seite der Kleinen steht, der Armen und Schwachen, ein Gott, der ein Faible hat für die Ausgestoßenen, die Flüchtlinge, für die, die ganz unten sind und auf die alle herabblicken. Die hebt er ganz hoch, denen spricht er eine ganz besondere Würde zu, macht sie in der Taufe zu seinen Kindern, zu Königskindern, zu Kindern dessen, dem die ganze Welt gehört. Ja, wie gut, dass wir vor Gott nicht zeigen müssen, wie gut und wie groß und wie stark wir sind. Wie gut, dass wir wissen dürfen, dass Gott uns gerade da anblickt, wo wir ganz am Boden, ganz unten sind, wo wir selber gar nicht mehr wissen, wie es mit uns weitergehen soll. Bei Gott gelten ganz andere Maßstäbe als unter uns Menschen, bei ihm haben gerade die Kleinen und Geringen die allerbesten Karten. Wie gut, dass wir darüber gemeinsam mit dem Volk Israel immer wieder staunen dürfen!

 

III.

Und denen, die der Gott Israels so hochhebt, denen er eine ganz besondere, einmalige Stellung gibt, denen gibt er zugleich auch eine besondere Aufgabe und eben darin auch eine besondere Würde: Er macht Israel zu einem „Königreich von Priestern“, so verspricht er es hier. Was sind die besonderen Aufgaben eines Priesters? Zunächst einmal ist es das besondere Privileg eines Priesters, sich Gott unmittelbar nahen zu können, ganz dicht an ihn herankommen zu können. Und dann ist es Aufgabe eines Priesters, Mittler zu sein zwischen Gott und den Menschen, Menschen die Möglichkeit zu geben, sich auch selber Gott nahen zu können.

„Königreich von Priestern“ – nein, Gott braucht nicht nur einige, wenige Priester für sein Volk, sondern er macht alle, die zu seinem Volk gehören, zu Priestern, zu Menschen, die den Auftrag haben, Gottes Gegenwart den Völkern dieser Erde nahezubringen. Was für ein anti-hierarchischer Ansatz, wenn alle ohne Unterschied sich Gott nahen dürfen, wenn alle in derselben Weise den Auftrag haben, Menschen in die Gegenwart Gottes zu führen! Das spricht Gott Israel hier zu, und genau das ist auch das Privileg und der Auftrag, den wir als Christen heute haben: Nahen dürfen wir uns Gott ohne Vermittlung, weil wir den einen Mittler haben, ihn, unseren Herrn Jesus Christus, der uns, den Nichtjuden, den freien Zugang zum Gott Israels eröffnet hat. Ich muss nicht erst etwas tun, damit ich mich Gott nahen darf. Ich darf ihn jederzeit ansprechen mit der Anrede, die er uns selber erlaubt hat: Vater, Vater unser im Himmel. Und dann haben eben auch wir denselben Auftrag wie auch die Israeliten: Wir sollen mit unserer Präsenz in der Welt Menschen helfen, den Weg zu dem einen wahren Gott, dem Gott Israels, zu finden. Dazu müssen wir nicht groß und stark sein. Das ist auch Israel in seiner Geschichte nicht gewesen. Doch gerade auch als kleine Minderheit, als Salz der Erde, dürfen wir unseren priesterlichen Dienst versehen, Menschen einladen und in die Gegenwart Gottes führen. Ja, ein Königreich von Priestern sehe ich auch heute Morgen hier vor mir in der Kirche: Lauter Menschen, die Gott gebrauchen kann, um durch sie andere Menschen zu erreichen und zu sich zu führen. Ja, ich freue mich darüber, wie ernst so viele von euch diesen priesterlichen Dienst nehmen und immer wieder Menschen, die keine Beziehung zum Gott Israels hatten, zu diesem Gott führen. Ja, genau so sieht es aus: Das Priestertum aller Getauften, die Berufung, als Glied des Volkes Gottes als Minderheit in einer Welt zu leben, die von eben diesem Gott so wenig wissen will.

Ja, er braucht dich, er, der Gott Israels, der dich ohne dein Zutun gerettet hat, der deine Niedrigkeit angesehen und dich ganz hochgehoben hat, der dich in seinen Dienst gerufen hat. Höre nur auf seine Stimme. Sie wird dich leiten und führen und schließlich auch zum Ziel deines Lebens bringen: dorthin, wo du einmal für immer als Priester vor Gottes Thron stehen und eben darin die letzte Erfüllung deiner Bestimmung finden wirst: Gott in der Gemeinschaft seines Volkes in alle Ewigkeit anzubeten – ihn, den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist, ihn, der doch kein anderer ist als eben der Gott Israels. Amen.

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