Epheser 3,14-21 | Exaudi | Pfr. Dr. Martens

Wenn ich in meinem Computer meine Facebook-Seite anschaue, dann stoße ich dabei regelmäßig auf wohlgeformte entblößte Oberkörper jüngerer männlicher Gemeindeglieder und Taufbewerber. Stolz präsentieren sie das Ergebnis ihrer Mühsale beim täglichen Besuch der Muckibude und freuen sich ganz offenkundig darüber, wenn sie für ihre schönen Rundungen unterhalb des Kopfes viele Likes und viele positive Kommentare erhalten.

Ich kann das gut verstehen, dass viele unserer jüngeren Gemeindeglieder regelmäßig ins Fitnessstudio gehen, dort Stress abbauen, dort ein Gegengewicht schaffen zum mühseligen Deutschlernen oder dem noch viel stumpfsinnigeren Herumhängen im Asylbewerberheim. Unser Körper ist ein Tempel des heiligen Geistes, und wenn man den pflegt, dann ist das durchaus gut und sinnvoll.

Doch in der Epistel des heutigen Sonntags macht der Apostel Paulus deutlich, dass es noch ein anderes Wachstum an Stärke gibt, das in der Tat noch wichtiger ist als das Wachstum des Bizeps und der Brustmuskulatur. Davon, dass wir stark werden an dem inwendigen Menschen, redet der Apostel Paulus hier. Ach, was sage ich: Er redet nicht einfach bloß davon. Sondern er bittet Gott um dieses Wachstum bei allen Gliedern seiner Gemeinde, bittet Gott um dieses Wachstum auch bei uns. Und wie dringlich ihm diese Bitte ist, macht er schon allein darin deutlich, dass er für diese Bitte auf die Knie geht, seine Knie beugt.

Natürlich haben wir hier in unserer Kirche keine Fitnessgeräte. Aber wenn wir hier zum Gottesdienst kommen, dann bewegen wir uns auch, und zwar nicht wenig. Nein, damit meine ich jetzt nicht, dass es manche gibt, die meinen, sie müssten alle zehn Minuten aus der Kirche herauslaufen und dann wieder hineinkommen. Sondern ich meine die Bewegungen, die wir ganz bewusst gemeinsam vollziehen, weil sie dem entsprechen, was hier im Gottesdienst geschieht. Da sitzen wir nicht einfach nur in unseren Kirchenbänken, sondern wir stehen auf, wenn das Kreuz hereingetragen wird, wenn wir beten, wenn wir das Heilige Evangelium vernehmen. Wir bleiben nicht in der Bank sitzen, sondern kommen hierher nach vorne, um die Vergebung der Sünden, um den Leib und das Blut des Herrn zu empfangen. Und wir knien im Gottesdienst eben auch nieder, genau wie es der Apostel Paulus damals auch getan hat. Ja, ich weiß, unsere Kniebänke sind nicht gerade ideal zum Knien. Aber sie lassen sich doch benutzen, und sie werden benutzt: Wenn wir Gott unsere Schuld bekennen, wenn wir die heiligen Worte Christi hören, durch die Brot und Wein Leib und Jesu Christi werden, und wenn uns am Schluss des Gottesdienstes der Segen auf unseren Kopf gelegt wird, ja, dann gehen wir auf die Knie, wenn es uns körperlich irgend möglich ist. Ja, es ist gut, wenn du im Fitnessstudio deine Knie beugst, um deine Beinmuskeln zu trainieren. Aber es ist noch viel wichtiger, dass du es dann auch schaffst, hier im Gottesdienst vor deinem Herrn und Heiland Jesus Christus auf die Knie zu gehen. Darin zeigst du noch viel mehr, dass du ein wirklich starker Mensch bist, wenn du vor Christus kniest, als wenn du irgendwelche Fotos von dir postest.

Ja, um das Wachstum des inwendigen Menschen, um seine Stärke bittet der Apostel Paulus hier Gott, unseren Vater. Und da bleibt in der Tat ein entscheidender Unterschied zu dem Muskelwachstum im Fitnessstudio: Das Wachstum der Stärke des inwendigen Menschen ist nicht nur viel wichtiger für uns – wir können es zugleich auch nicht nach außen vorführen und damit angeben. Geradezu peinlich wäre es und gerade kein Zeichen für die Stärke des inwendigen Menschen, wenn wir nach außen hin zeigen würden, wie stark wir doch geistlich sind, was für einen starken, unerschütterlichen Glauben wir doch haben, wie viel weiter wir in unserem geistlichen Wachstum schon vorangeschritten sind im Vergleich zu anderen Menschen. Es gehört wesentlich mit zum Wachstum des inwendigen Menschen, dass er gerade nicht auf Applaus und Bewunderung aus ist, nicht auf Bestätigung durch andere, dass er gerade nicht um sich selbst kreist und vielleicht gar in sich selbst verliebt ist. Ja, es gehört zum Wachstum der Stärke des inneren Menschen, dass dieser inwendige Mensch immer weniger seine eigene Stärke und sein eigenes Wachstum wahrnimmt, weil er nicht auf sich, sondern auf Christus ausgerichtet ist. Gewiss, es ist richtig: Auch das Wachstum des inwendigen Menschen geschieht durch Training, geschieht nicht automatisch. Sondern der inwendige Mensch wird gerade dadurch stärker, dass er in seinem Glauben herausgefordert wird, dass sein Glaube beansprucht wird. Genauso wie bei einem Fitnessstudiobesucher die Muskeln nicht besonders dadurch wachsen werden, dass er mal für fünf Minuten ein paar Ein-Kilo-Hanteln hochhebt, sondern allein dadurch, dass die Muskeln bis an die Grenzen der Belastungsfähigkeit beansprucht werden, so ist das mit dem Glauben, mit dem inwendigen Menschen auch. Der wird gerade da stärker, wo in seinem Leben nicht alles nach Plan läuft, wo das Vertrauen auf Gott als unseren Vater immer wieder Belastungsproben ausgesetzt ist. Nein, all das Schwere, das du in deinem Leben erfährst, ist nicht sinnlos. Es hat in den Augen deines Herrn Jesus Christus einen ganz tiefen Sinn, will dich wachsen lassen, will deinen inwendigen Menschen aufbauen, ihn stark werden lassen.

Doch solches Wachstum ist zugleich nur möglich, wenn wir, wie es der Apostel hier formuliert, eingewurzelt und gegründet sind. Eine Pflanze kann nur dann wachsen, stärker werden, schließlich einen richtigen Stamm bilden, wenn sie auch einen festen Wurzelgrund hat, aus dem sie leben und existieren kann. Eine Pflanze, die keine Wurzeln hat, vertrocknet sehr schnell, vermag vielleicht ein paar Tage als Schnittblume schön auszusehen, bevor sie schließlich weggetan wird. Sie hat keine Zukunft. Und so ist das eben auch mit uns, mit unserem Glauben. Unser Glaube kann nur wachsen, wenn wir in der Liebe fest gegründet sind. Nein, hier geht es nicht um irgendwelche Gefühle, sondern es geht um die Liebe Christi, mit der wir umfangen sind und auf der unser ganzes Leben als Christen beruht. Darum ist dies das Allerwichtigste in unserem Leben als Christen, dass wir diese Verwurzelung haben, dass wir darum wissen, wie wir in unserer Taufe in Christus gleichsam eingepflanzt worden sind, ja, dass wir darum wissen, wie sich diese Liebe Christi uns gegenüber immer wieder zeigt: in seine Hingabe am Kreuz für uns, aber dann eben auch immer wieder neu in der Begegnung mit ihm hier in seinem Wort, hier in seinem heiligen Mahl. Christ zu sein heißt verwurzelt zu sein, fest gegründet zu sein, sich nicht von jedem religiösen oder spirituellen Modetrend herumtreiben zu lassen, sondern bei dem zu bleiben, was Christus uns selber in seinem Wort gelehrt hat.

Ja, so beschreibt es der Apostel Paulus hier so schön: Christ zu sein bedeutet, dass Christus durch den Glauben in unseren Herzen wohnt. Das klingt jetzt auch so schön und fromm; aber wir müssen uns noch mal klar machen, was das eigentlich heißt. „Glauben“ heißt nicht: anzuerkennen, dass es irgendwo da oben ein höheres Wesen gibt, das womöglich darauf aus ist, mich am Ende in der Hölle schmoren zu lassen. „Glauben“ heißt auch nicht: ein schönes Gefühl zu haben, das einem heiß oder kalt über den Rücken läuft, wenn man sich mit der Botschaft Jesu beschäftigt. Und „Glauben“ heißt auch nicht: genügend Kenntnisse über christliche Feiertage gesammelt zu haben, um damit vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bestehen zu können. Sondern „Glauben“ heißt, so macht es St. Paulus hier deutlich: eins zu sein mit Christus: Wir in Christus, Christus in uns, in unseren Herzen. Ach, solange wir Glauben nur als ein Verstehen, ein Anerkennen oder ein Fühlen ansehen, haben wir nichts, aber auch gar nichts begriffen von dem, worum es im christlichen Glauben im Tiefsten und Letzten geht: um Gemeinschaft mit Christus. Christus lebt in dir, lebt in deinem Herzen. Und unser Herz hat eben zwei Eingänge für Christus: unsere Ohren und unseren Mund. Christus wohnt in dir, wenn du sein Wort vernimmst, wenn er durch deine Ohren in deinem Herzen Wohnung nimmt. Und Christus wohnt in dir, wenn du deinen Mund öffnest und seinen heiligen Leib und sein heiliges Blut empfängst. Ja, denke daran, wenn du heute und jedes Mal wieder neu aus dem Gottesdienst nach Hause gehst: Christus wohnt in dir, auch wenn du nachher zurückmusst in dein Asylbewerberheim, auch wenn du morgen wieder einen Test oder eine Arbeit schreiben musst, auch wenn du morgen wieder zum Arzt musst und schon ahnst, dass der dir nichts Gutes mitzuteilen hat. Du gehst nie allein. Christus wohnt in dir; das ist das Allerwichtigste in deinem Leben.

Ja, genau so wirst du stark werden durch den Heiligen Geist am inwendigen Menschen. Christus in dir – der wird dir helfen, bei ihm zu bleiben, auch wenn du hier in diesem Land wegen deiner Hinwendung zum christlichen Glauben so viel Schweres erfahren und erleiden musst, vielleicht schon heute Abend wieder in deinem Heim. Christus in dir – der wird dir helfen, den Schmerz zu tragen, dass du so weit von deiner Familie entfernt bist. Christus in dir – der wird dir helfen, immer wieder den langen Weg zum Gottesdienst auf dich zu nehmen, dich davon durch nichts und niemanden abbringen zu lassen, weil du weißt, wie nötig du es hast, dass dein inwendiger Mensch hier immer wieder neu gestärkt und auferbaut wird. Christus in dir – der wird dir helfen, es anzunehmen, wenn du merkst, dass deine Kräfte immer mehr schwinden, dass du eben nicht immer schöner und stärker wirst, sondern allmählich immer wackeliger auf den Beinen, immer schwächer und gebrechlicher. Ja, das Wachstum des inneren Menschen, es kann weitergehen bis zur letzten Stunde deines Lebens.

Und Christus in dir – der wird dir schließlich auch helfen, auch die Gemeinde und Kirche noch einmal anders wahrzunehmen und anzunehmen. Der wird dir helfen, hier in der Gemeinde nicht einfach bloß nach deinem Vorteil zu fragen. Der wird dir helfen, deine Landsleute aus dem Iran und Afghanistan in Liebe anzunehmen, auch wenn du es dir eigentlich wünschen würdest, dass es nicht ganz so viele von ihnen hier in der Gemeinde gibt. Der wird dir helfen, es anzunehmen, dass sich hier in der Gemeinde immer wieder so viel verändert, wird dich immer mehr in seiner Liebe verwurzeln, dass du dann auch in Liebe ertragen kannst, was vielleicht nicht unbedingt deinem Wunsch und Geschmack entspricht.

Ja, Christus in dir – der wird dir helfen, noch einmal neu wahrzunehmen, was für eine Tiefendimension die Kirche Jesu Christi eigentlich hat. Von vier Dimensionen spricht St. Paulus hier: nicht nur von den drei uns bekannten „Länge-Höhe-Breite“, sondern auch von der Tiefe. Ja, das ist wichtig, dass du deine Gemeinde, deine Kirche nicht nur mit den üblichen Maßstäben misst, mit denen man Sportvereine und gesellige Clubs misst. Sondern es ist wichtig, dass du hier in der Kirche immer wieder die vierte Dimension wahrnimmst, die Dimension Gottes, die auch unserer Gemeinde noch einmal eine ganz andere Tiefe verleiht: Hier bist du schon in der Gemeinschaft aller Heiligen im Himmel und auf Erden, hier werden Himmel und Erde schon eins in jedem Gottesdienst, hier darfst du dich erleben als Teil der einen, heiligen, allumfassenden und apostolischen Kirche, die alle Zeiten und Länder umfasst. Und in dieser allumfassenden Kirche wirst du, werden wir alle miteinander nun erfüllt mit der ganzen Gottesfülle, schreibt der Apostel. Schwestern und Brüder: An dieser Stelle versagen mir die Worte. Das lässt sich nicht erklären und beschreiben. Das lässt sich hier auf Erden kaum ansatzweise erahnen, was das heißt, dass wir so mit Gott eins werden, dass wir von seiner Fülle ganz erfüllt werden. Nur eines kann ich dazu noch sagen: mit dieser Fülle Gottes erfüllt zu werden, diese Gemeinschaft zu erfahren – das ist in der Tat noch tausendmal wichtiger als der Besuch einer Muckibude. Schon allein die Aussicht auf diese Gemeinschaft mit Christus sollte uns ganz von allein in die Kirche treiben, nein, nicht als Publikum des Pastors, sondern als Gemeinschaft derer, die erkannt haben, was hier eigentlich passiert: Hier werden wir mit Christus eins, in dem doch nicht weniger als die Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt. Und das will ich jetzt gar nicht irgendwie weiter zerreden. Ich sage nur noch eins: Kommt und seht, kommt denn es ist alles bereit, kommt und lasst euch verbinden mit ihm, dem lebendigen Herrn und Gott, der es auch verspricht: Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm. Amen.

Zurück